8.4.06

Nachruf und Gedichte für meine Mutter Elli, die am 9. März dieses Jahres verstorben ist und jetzt, am 13. April 74 Jahre alt geworden wäre


„Elli“
Eleonora Stelzhammer
geborene Paukert


FOTO KOMMT NOCH






Danke, dass ihr alle heute zur Verabschiedung von meiner Mutter gekommen seid. Meine Mutter hat Musik geliebt. Auch das Tanzen, Begegnungen, Geselligkeit, Feste, ihre Familie, ihre Freundinnen und Freunde und vor allem Kinder.

Schmerz und Trauer sind höchst individuelle Vorgänge. Als mein Vater 1982 mit 56 Jahren so jung verstarb, konnte ich auf seinem Begräbnis kein Wort hervorbringen. Das entsprach zwar meinem Schock und unserer Stimmung, aber die Sprachlosigkeit war schrecklich zu ertragen, auch für meine Mutter.

Heute, älter und naturgemäß weniger radikal, weiss ich, dass es immer noch keinen Trost gibt für das Unakzeptable das jeder Tod darstellt, aber ich will versuchen durch meine Emotion, also sehr subjektiv und unvollständig, etwas von der Persönlichkeit und dem Wesen meiner Mutter, dem Menschen der sie war, erfahrbar zu machen.

Diese Mitteilung ist nur zu ergänzungsbedürftig, denn jede, jeder hat Elli, meine Mutter auf seine Art gekannt, erlebt, gemocht und geliebt. Ich darf euch meine mitteilen, in Form eines Textes, den ich einen Tag vor ihrem Tod geschrieben habe und eines Gedichts nach der letzten Begegnung mit ihr, nach ihrem Tod, der sie am Donnerstag, den 9. März, um 5 Uhr früh, wie die Ärzte mir versicherten, im Schlaf überrascht hat.



Ungewusster Abschiedsbrief


Geschrieben am Internationalen Frauentag, dem 8. März 2006,
dem Tag nach dem (letzten) Besuch bei meiner Mutter.

Mutter, wohin gehst Du? In Deinen Augen die große Müdigkeit. Nein, sagst Du, deprimiert bin ich nicht -, aber so müde wie noch nie. Wie noch nie zuvor. Tapfer trägst Du Dein Marty-
rium seit langem. Die höllischen Schmerzen im Rücken, in den Händen. Deine Herzlichkeit, Deine alles umschließende Liebe. Und alles verzeihende.
Herzkrank seit der Kindheit. Herzkrank von den Bombennächten im kalten Keller, von den Ängsten um Eltern und Geschwister. Der Vater, Februarkämpfer des Schutzbunds, illegaler Kommunist dann, die Mutter allein mit fünf Kindern. Du, Fröhliche, mit Deiner ernsteren Schwester Erika, setztest Dich immer gegen alle Ungerechtigkeiten ein, für die Ärmeren, Schwächeren, Hilfsbedürftigen.
Theaterspielen an den Klopfstangen. Die NachbarInnen schmissen euch Groschen von den Fenstern zu. Das „sich kümmern“ um den Behinderten mit dem „Wasserkopf“, „sich prügeln“ mit den größeren Buben, die Deine Schwester verspotteten. Du wurdest vom Schwimmen und vom Turnunterricht befreit wegen Deines Herzfehlers und dadurch bist Du, die jung und sportlich war und überschäumend, unsportlich geworden. Dein Vater, den Du liebtest, ließ Dich nicht Kindergärtnerin lernen, weil Du da „außer Haus“ hättest schlafen müssen, während der Ausbildung. Du warst ihm dennoch nicht böse. Fesch warst Du und so engagiert für eine bessere, gerechtere Welt, ohne Krieg und Ungerechtigkeit. Du hast soviel gelacht und gesungen, an eine gute Zukunft geglaubt. Im Chor von Siemens, wo Du arbeitetest, nach dem Krieg, hast Du meinen Vater kennen gelernt, den jungen, feschen, ernsten und ruhigen Burschen mit den verträumten Augen, Sportler, gewellte Haare, Angestellter, - ein bisschen aus einer anderen, nicht so proletarischen Welt.
Er fand Dich und Deine große, bunte, laute, warmherzige Familie. Ihr habt euch geliebt, geheiratet, mich gekriegt. Euer Ein und Alles. Die ersten drei Jahre in der engen Wohnung im Strindbergbau, im hintersten Kabinett – dann Umzug nach dem Schöpfwerk, Hausmeister-posten. Meine Volksschuljahre am Khleslplatz und schließlich meine Pubertät im stillen, allzustillen Hetzendorf, meine Zeit im „Elite-Knaben-Gymnasium“ Rosasgasse, der Schulab-bruch 1968, mein Auszug aus eurer elterlichen, „zu engen“ Obhut, mein politisches Engagement – erst Spartakus, dann Longo mai…
Du bist schon mehr drüben als hier, Mutter, bei den anderen, an die Du jeden Tag, jede Stunde denkst, mit denen Du lebst, mehr schon als mit mir oder Deinen Enkelkindern.
Tapfer warst Du und bist Du auch jetzt, wo Du fast nichts mehr siehst. Die letzte Augenoperation nach der Glaskörperblutung hat Dir wenigstens etwas von Deinem Augen-licht zurückgegeben. Der Kalvarienweg durch die Spitäler der letzten Zeit hat Dich arg mitgenommen. „Jetzt könnte das schon ein bisserl aufhören“, sagst Du und dass Du nicht deprimiert oder resigniert bist, nur müde, so müde…Und Du bist wachsweiß, mit geröteten Augen und die Pupillen sind so weit weg wie grünes Schmelzwasser, aber trüber, wie durch Schlamm und Schmerzen getrübt.
Du hast keine Schmerzen, sagst Du, nur die „normalen“ im Rücken. Kleiner bist Du geworden, abgenommen hast Du, weiss ist Deine Haut und kalt sind Deine Hände. „Ich habe kalten Schweiß“, sagst Du „und ich krieg nicht genug Luft“. In Deinen Nasenlöchern stecken die Plastikschläuche des Sauerstoffgeräts. „So kann ich besser schlafen“, meinst Du. Nein, die Schwestern sind ganz in Ordnung. Nur mit einer Tschechin hast Du Dich kurz gestritten, weil die so unsanft war beim „Aufsetzen“. Und die Ärzte sind OK. Auch, dass es ein kirchliches Spital ist, stört Dich nicht. Du willst noch die nächste Untersuchung, Gastroskopie, Herzultraschall, hinter Dich bringen und dann, hoffentlich bald erholt, wieder zurück in Deinen Garten. Nein, auf Kur willst Du nicht, nicht mehr. Denn dort würdest Du ja wieder in der Krankenstation landen und davon hast Du genug.

Donnerstag, 9. März.
Acht Uhr fünfundvierzig. Mutter ist tot. Um Fünf Uhr früh ist sie gestorben, sagt mir ein Waschl vom Herz-Jesu-Krankenhaus.

Mutter, meine beste Freundin. Mein absolut sicherer Hafen. Mein Asyl, meine letzte Zuflucht. Ich lebe nun ohne Dich. Ich hoffe, Du hast nicht gelitten. Jetzt bist Du bei Ihnen, bei allen Deinen Lieben. Ich hoffe, Du hast gefühlt – ich bin bei Dir – und Du hast gewusst: Ich liebe Dich. Mutter – Auf Wiedersehen! Lass alle schön grüßen.

Dein Willi


Nachtrag:
Wir alle hier trauern um Dich. Allen voran Deine Enkelkinder und alle anderen Kinder, die für euch wie Enkelkinder waren, die mein Vater nur so kurz erleben konnte. Erwähnt sei auch noch die Zeit nach 1986 hier in Österreich, nach dem bitteren Exodus aus Longo mai, Deine unermüdliche Fürsorge und Pflege für Deine Mutter im Nachbargarten, die tiefe, innige Verbundenheit mit Deinen Brüdern und Schwägerinnen, Dein offenes Haus für Nachbarn und Freunde, dann die ewige Baustelle im Garten, Dein Einsatz, Dein Leben mit uns, mit Sibylle und Geneviève, mit allen Turbulenzen, Tiefen und Höhen, Deine unendliche Geduld und Dein tolerantes Verständnis, Deine Offenheit für Neues, Unorthodoxes, Dein Mitleben und Mitfiebern mit unseren politischen Aktivitäten, Deine Teilnahme am Stadtteilzentrum Simmering, Deine große, nie versiegende Geduld und Liebe. Du hast alles mit uns, mit mir mitgemacht, auch mein neues Leben und Lieben mit Joy und Lucian und mitgelebt und mitgeliebt und teilgehabt und geteilt soviel Du nur konntest; und warst, so schwach und krank Du warst, wichtiger und fast unmerklicher (nicht immer, manchmal konntest du auch sehr lautstark und streitbar sein) Ruhe-, Halt- und Angelpunkt, Bindeglied zur Vergangenheit, zwischen den Generationen und jetzt und das wird uns immer klarer, fehlst Du uns und es wird viel von uns verlangen diesen Verlust zu ertragen und Dich in uns lebendig zu halten, deine Liebe, Freundlichkeit, Fröhlichkeit, deinen Optimismus weiterzuleben und weiterzuge-ben. Ich werds versuchen. Wir werden es versuchen. Mutter, Großmutter, Urgroßmutter, Schwägerin, Freundin, Nachbarin, politische Aktivistin, Bürgerin, Frau, Kind, Elli –

Danke für alles und leb wohl.




Der Morgen nach Mutters Tod


Graue Wolken ziehn im Fenster
Winterhimmel, Welt ist leer
In mir Trauer und Gespenster
Meine Mutter ist nicht mehr

Soviel Tage grüner Gärten
Lachen und Geborgenheit
Soviel Kraft der unbeschwerten,
unversehrten Kinderzeit

Alles hast Du mir verziehen
Mich gedrückt an Deine Brust
Deine Liebe mir geliehen
Immer Rat und Trost gewusst

Grenzenlos war Dein Vertrauen
Ich war Deines Lebens Sinn
Ach, ich kann es noch nicht glauben
Dass ich jetzt alleine bin

Meines Herzens Gartenplätze
Vater, Mutter, bleiben frei
Wo ich mich zu Tische setze
Sitzt ihr Beiden mit dabei

Zeit der Kirschen, große Runde
Alle, die verschwunden sind
Sind auf ewig mit im Bunde
Bin auf ewig euer Kind

Und ich weine und ich lache
Seid in meiner größten Liebe
Ob ich schlafe oder wache
Bleibt mir, wenn mir nichts mehr bliebe

Ihr seid meine Kraft und Stärke,
Mir auf ewig einverleibt
Mit dabei in jedem Werk
Und Wolke, die vorübertreibt




11. März 2006

Von der Seele geschrieben


Die Mutter ist gegangen
Und hat mich lassen stehen
Ich streichelte ihre Wangen
Versprach ihr ein Wiedersehen

Dort wo keine Schmerzen wir haben
Alle Menschen sind freundlich und gleich
Alle Zwietracht und Streit sind begraben
Alle sind dort von Liebe so reich

Sahst aus Deinem Mantel von Leinen
Skeptischen Auges mich trotzig an
Deinen ewig träumenden Kleinen
Der die Wahrheit nicht fassen kann

Und ich streichelte Deine Wangen
Dein widerspenstiges Haar
Und Du sagtest – ich bin nicht gegangen
Und – gut war alles was war

Ja, dort werde ich haben gefunden
Was ich hier so sehnlich entbehrte
Ja, dort schließen sich alle Wunden
Und der Schmerz der mich verzehrte

Wird zur Freude – dort finde ich sie wieder
Meinen Willi, Fredl, Ferdinand, Erika, Franz,
Vater, Mutter – beug dich zu mir nieder
Nimmermüde sind dort meine Glieder
Ewig jung steh ich auf dort zum Tanz

Ich streichelte sanft ihre Wangen
Und schloss das Auge ihr zu
So schnell ist die Zeit vergangen
Dann bin ich nach Draußen gegangen
In Unruh und ließ sie in Ruh.



12. März 2005

Nichts ist aus

Drei Nächte bist Du tot.
Ausgelebt, ausgekämpft, aus-gelacht und aus-geatmet

Hab geträumt ich hätte Hand gelegt
an die große Wurzel eines Baumes,
der doch nicht und nicht zu fällen war.
Nur die Wunde meiner wilden Schläge
klaffte in dem dick verwachsenen
Riesenstamm – lachte über mein
vergebliches Treiben.

Nie werd ich es schaffen ihn zu Fall
zu bringen. Wenn er fiele, würde
er begraben unter sich das Haus,
das er bedachte und beschirmte,
dem er sich entgegenlehnte - und er
lachte über meine Schläge, die
verpufften.

Ausgelebt, ausgekämpft, aus-gelacht und aus-geatmet

Alle Blumen, die ich Dir nicht brachte,
Alle Nachmittage, die vergingen
Alle Nächte, alle Stunden, bettklamm
und alleine
Ungeschönt – Entsetzen – wie entsetzlich
packst du mich und würgst mich wie du sie
allzu oft und eisig angefasst hast, haben musst,
in der Kammer und am Tisch, gebückt,
die Gehhilfe benützend, in dem
Fernsehsessel, wenn sie wartete und wartete

Schluchzend saß sie klein vor meines
Vaters Grab unterm Friedhofshimmel
mit der Birke
Ihre tauben Hände hielt ich allzu selten

Ausgelebt, ausgekämpft, aus-gelacht, aus-geatmet

Es gelingt mir nicht den Riesenbaum
zu fällen – ich wache auf und
draußen rüttelt Frühlingsschneesturm
am Balkon und scheucht die Hasen auf.
Ungeschönt vertreibt der Tod das Leben
Doch die Schönheit lebt und wächst und blüht
aufs Neue,
lebt und kämpft und lacht und atmet. Nichts ist aus.



12. Februar 2006

Sitzend am Sessel der Mutter

Du warst die Königin
Des Gebens
Und ich Dein Prinz im Nehmen
Du warst der Pfeiler meines Lebens
Des zu bequemen

Ich gab Dir nichts als meine Träume
Mein großes Sehnen
Du weintest, dass ich nichts versäume
Manch bittere Tränen

Du warst die Meisterin des Verzichts,
Der Einsamkeiten
Ich war Dein Sonntagskind des Lichts,
Der schönen Zeiten

Dein Schattenland, Dein Schmerzengarten,
Dein duldsames Dauern
Der Zeituhr Sand – wie Du – entschwand
Uns, die jetzt trauern




13. März 2006

Selbstmitleidige Selbstkritik

Du hast mich an Deiner Brust gewiegt
Als sei die Welt gut
Du hast gesagt – das Gute siegt
Nur wenn man es selber tut

Ich hab es versucht, es hat nicht gereicht
Ich war zu schwach und zu schlecht
Ich nahm das Leben viel zu leicht
Und war zu selbstgerecht

Du hast mir trotzdem verziehen, mich geliebt
Ich war ja Dein Fleisch und Blut
Ich hab mir das Gute herausgesiebt
Und lebte im Übermut

Du hieltst mich, mich wiegend, an Deiner Brust
Verschwindend schon, bis zum Schluss
Ach, Mutter, ich habe doch nicht gewusst
Wie bald ich Dich missen muss



16. März 2006

Abends in der Reihe Neun

Die Frühlingsvögel singen
Trotz Kälte und trotz Schnee
Was wird der Frühling bringen
Und ihre Stimmchen dringen
Durch Trauer und durch Weh

Die Zeit sie wird vergehen
Die Trauer bleibt bestehen
Die Sonne wird uns lachen
Nicht ungeschehen machen
Was ich nicht kann verstehen

Der Tod scheint nur zu siegen
Er kann uns niemals kriegen
Dorthin wohin wir fliegen
Wird Leben nie versiegen



17. März 2006

Nach dem Begräbnis

Frühling wirds
Das Haus verwaist
Sonne blinzelt aus den Wolken
Meine Mutter ist verreist
Fortgeflogen in die Wolken
Garten atmet frisch enteist

Sonne, Vögel, Licht und Schatten
Grad noch Tränen, weiß wie Schnee
März. Mein Herz, darfst nicht ermatten
Nichts bleibt stehen, vorwärts geh

Nichts vorüber was begonnen
Blau wird Himmel täglich neu
Bald wird Neues uns besonnen
Neue Schmerzen, neue Wonnen
Mutter bleibe, bleib uns treu


18. März 2006

Wie mir ist

Allein

Es ist, als würde alles jemanden anderen passieren
Es ist, als würde ich mitten im Sommer erfrieren
Es ist, als würde man das Herz mir amputieren
Als würde ich offenen Auges auf mein Ende zumarschieren



20. März 2006

Anruf bei Mutter

Mutter,
wenn ich mit Dir sprach
war es als würfe ich
Steinchen in den Spiegel
des Teiches, Meeres der
Vergangenheit

Steinchen, die auf immer
verloren waren, Brot, Nahrung
für die unten am
Grunde liegenden
Verschwundenen

Mit ihnen, zu ihnen
redete ich durch Dich
Du warst begeisterte
Vermittlerin zwischen
Heute und Gestern

Wenn ich Dich anrief,
abends, aus dem Bus,
oder wenn ich den Motor des
Wagens abgestellt hatte, oder
Bevor ich den Haustorschlüssel
ins Schloss steckte,
war das wie ein Atemholen,
sich zurücklehnen in der Zeit
ins Zeitlose, vom Rastlosen
zur Rast, zum innigen
Innehalten und dann
hatte ich Dich am anderen Ende
wie einen Glücksfisch und
nach dem - Hali-Halo Mutter,
wie geht’s – waren wir
verbunden. Ich weiß nicht
mehr was Du sagtest und was
ich sagte, aber das war auch
nicht so wichtig. Ich hörte
den Fernsehapparat im Hintergrund
oder den höllisch zwitschernden
Pipsi – oder Tante Hilde
war bei Dir – oft hattest
Du Schmerzen – aber schon
nach wenigen Sätzen war
Deine Stimme lebendiger und
das Lachen war nicht mehr
weit.
Jetzt bist Du auch unter den
Spiegel gesunken. Niemand
hebt mehr ab, wenn ich
anrufe. Du bist abgemeldet
am Standesamt. Jetzt erst bist
Du richtig gestorben. Nicht
mehr im Wählerverzeichnis,
gelöscht im Zentralcomputer,
nicht mehr interessant für den
Fiskus. Deine Telefonnummer
wird bald abgemeldet sein,
Deine Zimmer ausgeräumt,
Deine Kleider bei der
Volkshilfe, Dein Ramsch
und Dein Kitsch in Kisten
bei mir. Ich werde mit
Den Kindern einen Baum oder
Strauch pflanzen, im Garten,
neben dem Strauch von Onkel
Franz. Ich werde Deine
Fotos und Gedichte ins
weltweite Internet stellen.
Ich werde meine Tochter Elena
anrufen und Dich in Oleg
und Stano und Miria und Tania.
Ich werde Dich in mir selbst
anrufen – immer – jeden
Tag, jeden Abend, wenn
ich verzweifelt bin, nicht mehr
ein noch aus weiß, wenn ich
mich wieder einmal mit Joy
gestritten haben werde.
Ich werde Dich anrufen wenn ich
Angst habe und wenn ich
mich über irgendetwas wahnsinnig
freue, oder wenn ich eine
schwierige Entscheidung zu treffen habe.
Ich bin sicher – Du wirst immer
für mich erreichbar sein.

Paradox. Bald liegst Du in
der Urne bei meinem Vater, der
Sich nicht verbrennen lassen wollte.
Jetzt seid ihr zusammen,
gleichwie, gleich wo.
Übrigens, Du könntest mich
Auch einmal anrufen

Und nicht vergessen: Schöne
Grüsse an alle und -
Danke, ich werds ausrichten!


20. März und 23. März 2006

Von der Wiederkehr

Nie wieder werde ich hierher kommen zu Dir
Durch die Türe treten mit Hali-Halo
Und nie wieder seh ich diese Räume so
Wie sie waren als Du lebtest hier

Das Vergangene wird mit Weiße übertüncht, aus alt wird neu
Das ist gut so und das ist der Lauf der Welt
Dass sich neues Leben in den alten Wänden freu
Nichts ist wirklich neu unter dem Himmelszelt

Alles war schon da, alles kehrt wieder
Aber Du kehrst hierher nie wieder zurück
Doch, vielleicht, in einem unserer Lieder
Oder auch in einem neuen Glück


23. März 2006

Schönheit

Schönheit, du entsteigst den Küsten,
Ungeahnten, weiten Fernen
Längst verklungenen wilden Lüsten
Längst verloschenen Zaubersternen

Schönheit, du blühst wie die Blume
Mitten in den staubigsten Wüsten
Es verbergen in den Krumen
Bitterkeit sich oft die süß`sten
Augenblicke, duftverflogen
Oft auch aus dem Spiel der Wogen
Steigst du, gleißend, Tropfen sprühend
Und aus dampfenden Horizonten,
Schattenschluchten, nie besonnten
Aus dem Nichts, vor Liebe glühend

Schönheit, Schwesterchen des Todes
So beseelt und lächelnd schön
Traummomente lang verloht es
Wie ein Küsschen frischen Brotes
Wie Dein Lust- und Schmerzgestöhn



Selbstermutigung

Sich dem Schmerz überlassen
Wie prasselnde Scheite
Unfassbares fassen
Suchen, das Weite

In die Wellen sich stürzen
Unter den Hammer sich legen
Die Wunde streng würzen
Nichts wollen bewegen

Das Außen verachten
Das Innerste krönen
Fehler umnachten
Versäumtes verschönen

Von alledem keines
Und alles und mehr
Dein Unglück bewein es
Nicht allzu sehr

Bewein es, belach es
Beleb es, entfach es
Behüt es, bewach es
Dein Starkes, dein Schwaches

Und wein deine Träne ins Meer

Und dann gib was zu geben
Ist, deine Liebe, dein Leben
Denen die leben, her.



Inschrift

Immer zusammen
In Erde, in Flammen
Jetzt und Dereinst
In Wasser und Luft
In Klang und in Duft
In Strahlen, in Teilchen
Ein ewiges Weilchen
Hüben und Drüben
Droben, hinieden
Mutter,
Sonne,
Du scheinst



23. März 2006

Es zerreißt mir das Herz

Sie haben Dein Bett
abgeholt, Mutter, Dein
Krankenbett – Es
zerreißt mir mein Herz
Ich habe Deine Kleider
der Volkshilfe gebracht,
alle Deine Kleider,
die ich so gut kenne
Deine Festtagskleider
Das Türkisblaue,
die vielen, bunten,
kitschigen Kleider
Und es zerreißt mir das
Herz.

Ich ordne Deine Fotos
Deine Postkarten und Briefe
und es zerreißt mir das Herz
Die vielen kitschigen
Figürchen, im kleinen
Fenster neben Pipsi
Die Vasen, Weihnachts-
Kugeln, Glücksschweinchen,
Zündholzstiefelchen

Und erst die Küche…

Alles totes Geschirr
Deiner peniblen Unordnung
beraubt und der große
Tisch, immer Prospekte-
übersät, die Post, bunt
durchmischt – der ewige
Kampf mit den
Zahlscheinen und Rechnungen
Das Schlachtfeld, das
nur durch Tante Hildes
ordnende Hand halb-
wegs bewältig- und
durchschaubar war

Diese Unordnung blühte
durch Dich wie eine
Frühlingswiese
Und Du schautest über
den Brillenrand - Na, Ich
fühl mich gar noch nicht
wie siebzig – und wenn
Musik ertönte, kribbelte
es Dich in den Beinen

Die Sardellenbrötchen
Die saure Milch
Willst an Rollmops?
Nein, aber einen Striezel
und Kaffee und einen
Apfel - und ich streichelte
Deine Hände und Du
hattest Tränen in den
Augen – Diese Scheisshänd!
I hab überhaupt kein Gfühl
mehr, alles fliegt mir obe –
weil Dir schon wieder der
Löffel auf den Teppich
gefallen war.

Du kommandiertest Deine
Heimhilfen wie Napoleon – Du warst
ihnen nicht böse – konntest
selbst nur mehr so wenig
tun.

Es zerreißt mir das Herz.

Zum Glück kommt Oleg
und trinkt mit mir einen
Kaffee und isst ein
Croissant, das ich mitge
bracht habe.

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