26.11.22

Novembergedichte 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

12. November 2022 

Heimat: Welt

(Eine utopische Vision, geschrieben im „welTraum“ am bolivianischen Fest zum 212. Jahrestag der Befreiung von den spanischen Kolonialherren in Potosí in Südost-Bolivien.)
 
Es ist kein Ort. es ist überALL
es ist dieser winzige blaue Planet
es ist diese Träne, die funkelnd im All verweht
mit ihrer Liebe und ihrem Widerstand
ist so viel mehr als falsche, konstruierte, nationale Identität
 
Heimat: Welt
die uns am Leben hält, mit ihren Kontinenten, Bergen, Meeren,
mit ihren Wüsten und Urwäldern, die füllen unsere Leeren
die machen, dass wir uns vermehren
mit ihrer prachtvollen Sonnenwärme auf unserer Haut
und ihrer Liebe und ihrem Widerstand, der auftaut
mit ihren Blüten und mit ihren Millionen Pflanzen und Tieren,
mit ihrer fruchtbaren Erde auf der wir uns gerne verlieren
gemeinsam feiern, lachen, lieben, musizieren
 
Heimat: Welt
Mit ihren vielen Narben von so viel Trauer, Leid und Kriegen
Grenzen gibt es nicht für das Licht, und auch wenn die Nacht hereinbricht
und auch am Ende des Lebens, am Ende von jedem Gedicht,
gibt es wieder Geburt, Leben, Hoffnung und Sehnen,
dann aus einem Tal von Tränen, blitzende, verliebte Augen,
werden Menschen frei und einzeln, nicht mehr folgsam in Herden
zusammen, weil sie es sich so ausgesucht haben
Ach, in jedem ein funkelnder Schatz vergraben,
der teilen heißt und geben und lieben
und nicht mehr allein entgleist und erliegt seinen wütendsten Trieben,
seiner Gier, seiner zerstörerischen Zerissenheit,
ein friedlicher Geist, mitten in dieser kriegerischen, gewalttätigen Zeit.
 
Heimat: Welt
Ein Arm, der sich um die Schultern des Nächsten legt,
ein Schrei und ein Lied, das die Erde bewegt
und ein Tanzen mit den anderen über sich hinaus –
frei vor dem offenen, gemeinsamen Haus`
und die Erde wird friedlich von allen bewohnt und bestellt
und ist für jede und jeden
 
Heimat: Welt

 

13. November 2022
 

Advent, Advent, die Erde brennt

(Lied gegen Klimawandel, Krisen und Kriege
Eine andere, bessere Welt ist möglich!)
 
Advent, Advent, die Erde brennt
Die Sicherung ist durchgebrannt 
Und auch der menschliche Verstand
Das Klima kollabiert und alle tun weiter, ungeniert
Wir werden totgewirtschaftet und totregiert
 
Advent, Advent, die Erde brennt
Meere ersticken, steigen an, die Luft verdirbt
Pole und Gletscher schmelzen ab
Die Biosphäre stirbt, und kaum wer reagiert
Vorm offenen Hitze-Massengrab
 
Advent, Advent, die Erde brennt
Kriege werden geführt, Gifte werden gerührt
Atem wird abgeschnürt
Oligarchen und Patriarchen denken nur ans Geld
Versiegeln den Boden und vernichten die Welt
 
Advent, Advent, die Erde brennt
Wo bleibt die Feuerwehr, wo bleibt die Gegenwehr
Ein Rettungsplan
Es geht ums Ganze, Leute, nicht morgen; Heute!
Wir haben schon viel zu lange nichts getan
 
Bauen wir Archen, aber nicht für Oligarchen
Bauen wir Archen, aber nicht für Oligarchen
Bauen wir Archen, aber nicht für Oligarchen
 
 
 
 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

  


15. November 2022
 

G`hupft wie g`sprungen

 
An meinen Niederlagen möchte ich mich berauschen
An meinen Siegen möchte ich verzweifelt sein
Denn eines lässt sich mit dem anderen trefflich tauschen
Und alles beide gehört nur mir allein
 
Genießen will ich Leiden und Freuden bis zum lerzten Tropfen
Dass nichts entwischt, was je mein Sehnsuchtsblick erfasst
Ertragen will ich noch die schwerste Last
Will nur ganz tief in mir ein Herz voll Liebe klopfen
 
 
17. November 2022
 

Der Menschenwolf

 
Genug ist genug
Zum Brunnen ging er, bis er brach, der Krug
Denn alles um uns war doch Lug und Trug
Und niemand der nach Kapitalismus' neuen Kleidern frug
Nackt stand er da in seiner Monstrosität
Als lallender Tor, der über Millionen Leichen geht
Und selbst sein wüst-chaotisches Treiben nicht versteht
Zuviele Kriege hat er ausgesät, zuviele Unschuldige abgemäht
Den Leib der Erde aufgerissen, dass es ärger nicht mehr geht
Wälder vernichtet, Meere vergiftet im Glauben, dass er über allem steht
Der Menschenwolf, der alle anderen Wesen auf dem Altar 
Des mörderischen Fortschritts und Profits verschlingt 
Und alles, was da kreucht und fleucht ums Leben bringt
Verkrallt in den Gehirnen aller Kreaturen, dass sie sich selbst aufgeben
Willenlos, Lemuren im Dienst der Mordmaschinerie des Kapitalismus
Der, wie wir wissen, führt gerade in Krisenzeiten gradewegs in den Faschismus
Auch wenn der sich neu verkleidet

 

19. November 2022

Konfession

 

Ich habe kein Talent
für das Leben, das man gemeinhin Leben nennt
ich suche immer die Wunderblume, die rot im grauen Alltag brennt
ich verabscheue Supermärkte, Kindergärten, Schulen und Kaufhäuser, Familienessen und Banalurlaube, das was man für gewöhnlich so in der "Freizeit" tut, Hobbys und Nachmittage in der Gartenlaube, sinnentleerte Spaziergänge in der frisierten, denaturierten Natur langweilen mich zu Tode und belanglosen Smalltalk kann ich ebensowenig ausstehen wie Regierungspressekonferenzen, Pseudonachrichtensendungen oder billige Volksvergnügungen. Am meisten hasse ich stumpfsinnige Werbung und Bezirkszeitungen des Nichts und der Nichtigkeiten, das Sklavenleben an der Leine, die du aus Stumpfsinn und Verblödetheit selbst in der Hand hältst, als dein eigener Sklaventreiber, der im Mainstream mitschwimmt bis er darin ersäuft.
 
 

19. November 2022

Der erste Schnee

 

Der erste Schnee in diesem Jahr in Wien
Ich denke an die, die in den Kellern und Schützengräben 
ohne Wärme und Licht und Wasser überleben
über die nicht der Blätter- sondern der Bombenfall hereinbricht
und ich möchte mich übergeben und ich verliere mein Gesicht
 
Der erste Schnee in diesem Jahr in Wien
ich denke an die, die vor den Überflutungen fliehen
die in den ausgedörrten Hitzehöllen dieser Erde verderben
die an den Grenzzäunen und in den Lagern sterben
und nicht bequem in Hauptquartieren und Luxusvillen ihre Zeit verlieren
ich denke an die, die im Schnee krepieren
 
Der erste Schnee in diesem Jahr in Wien
so unschuldsweiß und schön und wunderbar das Leben flieht zurück ins Erdesdunkel
ins Wurzeltief, Eisschneekristallgefunkel, unser Gewissen schlief zu lange schon
schuldig und unschuldig zugleich, die Menschenseele liegt auf der Folterbank
zerstückelt, eingelullt, verdorben, krank, die Wirklichkeit wird schöngeredet und verdrängt
und in den Alicewunderhorrorschrank des Internets gehängt, damit sie niemand sieht
Wetten, dass, wir waschen uns den Pelz und werden demnächst nass