27.12.16

Dahindämmerung

25. Dezember 2016

Zuviele, die alleine in ihren Wohnungen sitzen oder liegen, besucht nur von Heimhilfe und Pflege oder Besuchsdienst, die die Kühlschränke mit Lebensmitteln füllen, die Mägen also, selten nur das Herz. Sie dämmern vor sich hin, die alten Menschen in ihren Krankenbetten, im Lehnstuhl, auf dem Leibstuhl, in den meist sauberen Küchen, in sauber gesaugten Wohnungen, oder in Dreckslöchern, wenn sie arm sind, fernab vom Leben, von den Wirklichkeiten, umgeben nur von den eigenen vier Wänden, manchmal Erinnerungen, die wie verlöschende Glut darauf warten, dass sie einer wecke mit einem Hauch von Mitgefühl und echtem Interesse.

Sie sitzen alleine, Stunde um Stunde, bestenfalls von Fernwärme gewärmt. Von Außen ahnt es niemand, nur ein kleines schwarzes Kästchen an Tür oder Wand, ein sogenannter Schlüsselsafe, zeigt Fachkundigen oder sehr Feinfühligen, dass da Menschen eingeschlossen in ihren Wohnungen sitzen oder liegen und warten und wissen nicht worauf, von Angst, oft von Demenz umklammert. Dann und wann sind auch welche unter ihnen, die noch lebendig sind und Witze machen und sich freuen wenn die Türe aufgeht. Trotz alledem warten sie auf ein lebendiges Gegenüber aus der Welt da draußen, die so ferne, undeutlich durch die Vorhänge schimmert. Zu selten kommt die auch zu ihnen, in Form von Interesse, Rede und Gegenrede und animiert ihre Gehirne und Gefühle das alte „Werkel“ wieder anzuwerfen für die Dauer der Heim(be)suchung. Dann, mit dem Verschwinden jener Heimhilfen, PflegerInnen, BesuchsdienstleisterInnen, Menschen in Berufen, die viel zu wenig beachtet und entlohnt, ihren, im besten Falle menschlichen Dienst anbieten, am hilfs- lebens- und liebesbedürftigen Menschen, verschwindet auch meistens die Anima, der Antrieb und der alte, gestrandete Mensch versinkt aufs neue in seiner abgrundtiefen Einsamkeit. Vereinzelung ist das Prinzip und Schicksal, das für soviele alte und kranke Menschen in den so hochgepriesenen Strukturen unserer Wohlfahrtsstädte herrscht; das Abgeschnittensein vom bunten, bewegten Fluss des Lebens.

Unseren Dienst, unsere vorgeschrieben Arbeit haben wir zumeist geleistet, wir Dämmerungs-eindämmermenschen, schlecht bezahlt und kaum gut behandelt von den Dienstleistungsorganisationen für die wir unsere Energien verschwenden, beste Lebenszeit, kaum je wirklich gefördert und gesehen, einfache Helping Hands-Schräubchen im Gewerk der selbst noch aus der Verwaltung und Verwertung der geriatrischen „Abfallhalden“ Nutzen ziehenden und Gewinne schlagenden Pflegeindustrie, als Teil einer immer ungehemmteren Reichtumsanhäufungsmaschinerie, die, die Überreste unserer Sozialgemeinschaften brutal auswaidet und ihrer Innereien entleert; des Zusammenhalts, der Solidarität, der Zuneigung und Wärme eines menschlichen Anderen, eines offenen Gegenübers. An Pflegerobotern und Automatisierung wird in der kapitalistischen Wahnsinnswelt aus Einsparungsgründen bereits weltweit heftig geforscht!!!

Dabei dämmern die Hilfs- und Pflegebedürftigen ohnehin schon die meiste Zeit alleine dahin, berieselt nur mehr von Gratiszeitungen und vom immensen Bildschirm des Flat-Tvs, den ihnen Anverwandte, schlechten Gewissens, als Ersatz für aus Berufsstress- und Zeitmangel fehlende Ansprache und Mitgefühl, mitten ins Wohn oder Schlafzimmer als einzigen Ansprechpartner vor die Nase gesetzt haben. Virtuelle Verblödung, seichte Unterhaltung, Werbelügen und eskalierende Angstmacherei dauerberieselt sie in ihrem wirklichen Elend, in ihren fein in „Schutzhosen“ verpackten Exkrementen und in ihrer Sterbensverlassenheit und steigert ins Unermessliche die ohnehin schon im Überfluss vorhandene Angst ihrer entschwindenden Existenzen.
So dämmern sie dahin und so finde ich sie oft auf und nicht nur ich, auch andere noch viel ungeschützere, weil weniger ausgebildete, KollegInnen, Helfende und Pflegende, die all das Leid, die Sorgen, den Schmerz, die ungeheure Traurigkeit, der sie täglich aufs neue begegnen und die sie, so gut und professionell sie sich auch schützen mögem, so menschlich sie auch seien, unweigerlich mittragen wie ungelebten Lebensstaub von unerfüllten Träumen und Hoffnungen, lähmendem Entsetzen, Krankheit, Leid und Todesangst; mit nach Hause, in einer dünnen, erst unsichtbaren Schicht, die Körper und Seele überzieht und die mit den Jahren sie selber zu entkräften, lähmen und ersticken droht, mit Trauer-und Tränennetzen umspinnt und abgewürgter Wut, wenn sie nicht acht geben auf sich und ihre Nächsten. Da ist nichts zu beschönigen. Verdrängung allerorten. Und keine Supervision, selten ein anerkennendes Wort in den, trotz allem, hierarchischen und kalten Strukturen der Pflegeorganisationen und institutionalisierten Gesundheitsdienste.

Wie unbeachtetes verdrängtes, abgeschnittenes, alterndes Gewebe west unsere vielgepriesene Gesundheitspolitik, die im Vergeich doch noch viel besser ist als in manchen Ländern um uns herum und im Großteil der Welt, im Schatten unserer hyperaktiven, auf ewig jugendlich-modern getrimmten Schein- und Konsumgesellschaft vor sich hin. Von den meisten Jungen und Validen ungewusst. Von Gesundheits-broschüren verschönert, von PolitikerInnen zu stimmbringenden Sonntagsreden aufgemotzt, aber im Grunde, wenn sie nicht tiefgreifend und nachhaltig reformiert wird, wie die von ihr versorgten und betreuten Menschen, zum Verdämmern verdammt.

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