13.9.11

Gedichte aus der letzten Zeit

Neurosenkranz
Exerzitien, mit denen sich zentraleuropäische PsychotherapeutInnen
den Verlust der Triebe erklären

Nimm dir den Mut
Du lebst ja gut
Hast Essen genug
Und Wasser im Krug
Keine Bomben am Dach
Nachts bist du nicht wach
Keine Folter, kein Krieg
Dir gilt kein Schuss
Und auch sonst kaum Verdruss
Im Gegenteil, du lebst im Überfluss,
also…
(und wieder von vorne)

Song vom "Waren" Hintergrund
der „Griechenlandkrise“

Nach dem Kälbermarsch von Brecht/Eissler,
nach dem Horst Wessel-Lied

Europas Stier steht auf verbrannter Erde
Das arme Tier weiß nicht mehr aus noch ein
Die Hirten der EU verraten ihre Herde
Sie ließen Wölfe in den Pferch hinein

Hinter dem Euro her
Trotten die Kälber
Die Zinsen fürs Schlachten
Bezahlen sie selber

Die Zinsen hoch, die Ratingagenturen
Treiben die Staaten so in den Ruin
Globales Laufhaus wolln sie statt lokaler Huren
Die sollen, ausrangiert, von selbst ins Schlachthaus ziehn

Hinter der Fahne her
Trotten die Kälber
Das Fell für den Metzger
Liefern sie selber

Hitler wollt einst Europa ganz bezwingen
Es bringen unter seinen Eisenhut
Das war zu plump und konnte damals nicht gelingen
Die Lektion lernte die Wirtschaft gut

Hinter dem Euro her
Trotten die Kälber
Die Zinsen fürs Schlachten
Bezahlen sie selber

Europa ist ein fader Fahnenfetzen
Subtil beherrscht von Wirtschaftsdiktatur
Menschen die wieder einmal gegen Menschen hetzen
Folgen Politikern, die folgen Wirtschaft nur

Hinter dem Euro her
Trotten die Kälber
Die Zinsen fürs Schlachten
Bezahlen sie selber

Die Grenzen hoch, die Gatter fest geschlossen
Feiert Europa Nazi-onale Wiederkehr
Es werden Schimpf und Hasskanonen abgeschossen
Und bei Bedarf auch noch ein bisschen mehr

Hinter dem Euro her
Trotten die Kälber
Die Zinsen fürs Schlachten
Bezahlen sie selber

Und vor Europas Urlaubsparadiesen
Ersaufen Flüchtlinge im blauen Mittelmeer
Und unsere Presse faselt was von Wirtschaftskrisen
Und dabei wachsen die Gewinne mehr und mehr

Hinter dem Euro her
Trotten die Kälber
Die Zinsen fürs Schlachten
Bezahlen sie selber

Europa als Garant hätten wir gerne
Von Frieden, Wohlstand und Demokratie
doch leider bleiben diese nur entfernte Sterne
Greifen die Menschen nach den Sternen nie

Hinter dem Euro her
Trotten die Kälber
Die Zinsen fürs Schlachten
Bezahlen sie selber

Doch wissen selbst die alten Pharaonen
Machtpyramiden stürzen manchmal ein
Wenn Menschen aufstehn und die Mächtigen entthronen
Wird einmal Schluss mit aller Herrschaft sein

Facebook und Twitter her
Es befrein sich die Kälber
Und leben ihr Leben
Zum erstenmal selber
Dann gute Nacht, Eliten, Oligarchen
Umwelt- und Menschenkiller gute Nacht
Das ist das Ende der brutalen Patriarchen
Wenn sich das Kalb zum eigenen Hirten macht

Dann trottet keiner mehr
Hinter dem andern
Wenn miteinander wir
Gleich-Freie wandern

Glückliche Liebe gibt es nicht
Nachdichtung nach einem Gedicht von Louis Aragon,
Musik von George Brassens

Nichts ist dem Menschen sicher, seine Kraft nicht
Noch seine Schwäche noch sein Herz und wenn er meint
Die Arme auszubreiten ein Kreuz sein Schatten scheint
Und er zermalmt sein Glück wenn er’s zu halten meint
Sein Leben seltsam leidvoll wie eine Eh zerbricht

Glückliche Liebe gibt es nicht

Sein Leben ist wie diese Soldaten ohne Wehr
Die man gekleidet hat für anderen Lebenslauf
Was nützt es ihnen stehen sie am Morgen auf
Sie die man abends findet verunsichert zu Hauf
Sagt dieses Wort Mein Leben weint keine Tränen mehr

Glückliche Liebe gibt es nicht

Mein schönes Lieb mein teures Lieb mein tiefer Riss
Ich trag dich wie ein Vöglein dem ein Leids geschehen
Und diese Ahnungslosen sehen uns vorüber gehen
Murmeln mir hinterher Worte die mir entstehen
Und die in deinen Augen sterben in Finsternis

Glückliche Liebe gibt es nicht

Die Zeit leben zu lernen zu spät sie reicht uns nie
Was weinen unsere Herzen des Nachts im selben Ton
Wie viel braucht es an Unglück für das kleinste Chanson
Wie viel Bedauern braucht ein Erschauern doch als Lohn
Und wie viel Schluchzen die Gitarrenmelodie

Glückliche Liebe gibt es nicht

14. Juli 2011

Ich komme an (J`arrive)
Jaques Brel

Von Chrysanthemen zu Chrysanthemen
Unsere Freundschaften vagieren
Von Chrysanthemen zu Chrysanthemen
Will Tod die Lieben „schaffotieren“
Von Chrysanthemen zu Chrysanthemen
Uns andere Blumen blass begegnen
Von Chrysanthemen zu Chrysanthemen
Weinen die Männer Frauen regnen

Ich komme an, ich komme an
Wie gerne hätt ich meine Knochen noch einmal geschleppt
Bis zu der Sonne, bis zum Sommer, bis zum Frühling, ach, bis Morgen hin
Ich komme an, ich komme an
Wie gerne hätt ich noch einmal gesehen ob der Fluss noch Fluss ist
Und der Hafen Hafen und ich mittendrin
Ich komme an, ich komme an
Warum grad ich, warum grad jetzt
Warum so schnell und wohin gehen
Ich komme an, natürlich komme ich an
Ich hab in meinem ganzen Leben niemals etwas anderes getan

Von Chrysanthemen zu Chrysanthemen
Und jedes Mal etwas „alleiner“
Von Chrysanthemen zu Chrysanthemen
Mein Guthaben wird immer kleiner

Ich komme an, ich komme an
Wie gerne hätte ich noch einmal genommen Liebe wie man nimmt den Zug,
um nicht allein, woanders und gut drauf zu sein
Ich komme an, ich komme an
Wie gerne hätt ich noch einmal mit Sternen einen Zitterleib gefüllt
und wär im Liebesbrand gestorben dann als Aschenherz
Ich komme an, ich komme an
Das bist nicht du, der zu früh dran ist
Das bin schon ich, bin bereits zu spät dran
Ich komme an, natürlich komm ich an
Hab ich denn je in meinem Leben etwas anderes getan?


Im Hafen von Amsterdam

Im Hafen von Amsterdam
Gibt’s Matrosen die singen
Träume, die sie verschlingen
Schon weit vor Amsterdam
Im Hafen von Amsterdam
Gibt’s Matrosen die schnarchen
Fahnengold von Monarchen
Im Bett trostloser Strände
Im Hafen von Amsterdam
Gibt’s Matrosen die sterben
voll von Bier und von Dramen
in des Morgenlichts Scherben
Aber im Hafen von Amsterdam
Gibt’s Mütter die gebären
In Bruthitze, Matrosen
Voller Sehnsücht nach Meeren

Im Hafen von Amsterdam
Lassen Matrosen sichs schmecken
Auf zu weißen Gedecken
Fische, glitzernd und nass
Sie zeigen euch Zähne
um das Glück zu zerbeißen
Sichel vom Mond zu reißen
Schlucken, Tauwerk und Kähne
Und das riecht nach frischem Fisch
Bis ins Fettherz der Fritten
die sie großprankig bitten
„Kommt noch mehr auf den Tisch“
Und dann stehn sie lachend auf
Als ob Sturmwinde tosen
Knöpfen zu ihre Hosen
Und gehen rülpsend hinaus
Im Hafen von Amsterdam
Gibt’s Matrosen die tanzen
Reiben sich ihren Ranzen
An den Ranzen der Frauen
Und sie drehn sich und sie tanzen
Wie Sonnen, ausgespuckt
In einem Ton der verzuckt
Aus einer Quetsche voll Wanzen
Sie verdrehn das Genick
Eigenes Lachen belauscht
Bis zu dem Augenblick
Wo das Akkordeon verrauscht
Und dann mit Geste voll Würde
Und mit stolzem Gesicht
Tragen sie ihre Bürde
Hinaus ins grelle Licht

Im Hafen von Amsterdam
Gibt’s Matrosen die trinken
Und die trinken und trinken
Und trinken noch einmal
Sie trinken auf das Wohl
Der Huren von Amsterdam
Von Hamburg oder sonst wo
Jedenfalls aufs Wohl der Damen
Die ihnen ihren hübschen Leib schenken
Ihre Unschuld dazu
Für ein Stückchen Gold
Und sind sie dann so richtig „zu“
Nase in Himmel und Wind
Schnäuzen sie sich in Sterne
Und pissen wie ich weine
Auf die Frauen die untreu sind

Im Hafen von Amsterdam
Im Hafen von Amsterdam

24. 7. 11

Nach dem Terroranschlag in Norwegen

Klärung der Schuldfrage

Der Himmel gehört auch den Mördern und Verrückten
Der Goldmond und das Geschmeide der Sterne
Ist der Reichtum der Unterdrücker und der Unterdrückten
Alle haben den Himmel gerne

Am gleichen Tag

Woran starb Amy Winehouse
Ganz allein zu Haus?
Warum war ich nicht da
Um ihre Hand zu halten
Wo waren ihre Freunde
Wo waren ihre Alten
Wer ist schuld an dem
Was mit ihr geschah?
Der schnelle Ruhm, die Musikkonzerne
Die Familie?
Es tötet die Gleichgültigkeit
Dieser verlogenen Zeit
Es töten die beschissenen Computerspiele
Mit ihren Menschenzielen
In dieser beschissenen Zeit
Wo sich niemand mehr verstecken kann
Wo man öffentlich verrecken kann
Geht uns alle alles an

Fellner ist schuld
Und der Kellner ist schuld
Der den Whisky ausschenkt
Und der Drogenhändler
Aber auch der Trafikant
Der die Krebszigaretten verkauft
Und der Arbeiter in der Pistolenfabrik
Und der Priester der Kanonen segnet
Und Soldatenmörder tauft
Und der Sozialdemokratische Funktionär
Der sich zu gut ist, um mit den jungen Neonazis zu reden
Zu streiten und wenn nötig zu raufen
Die Jasager und Runterschlucker und nach unten Treter
Und nach oben Ducker sind schuld
Und die verfluchte Geduld

22. August 2011

Du bist nicht allein

Glücklicher Tag
Sommerleicht vor dem Herbst
Glücklicher Abend
Trotz vorgerückten Alters
Weißer Schmetterling, taumel
Grüne Gräser streckt euch
Wolkenloser, blauer Himmel
Schwebe, Sonne liebkose
Wasser umschmeichle mich
Leichter, spätsommerlicher Trost
Flüster mir zu:
Du bist nicht allein

Nackt und schön

Wie schön es ist
Nackt zu sein
Alles Nackte ist schön
In der Natur
Alles nackte, Lebendige,
Schamlose
Jede Form, jedes
Alter, versehrt und
Unversehrt – alles was
Augen hat und eine
Seele, ist schön
Und leicht und jung
Ist verwoben mit der
Welt, tanzt
Spielt und tönt
Mit.

14. August 2011

Dünnhäutig

Ich bin dünnhäutig
Geworden wie eine löchrige
Trommelsonne aus dem Norden
Wie ein durchschossener
Blechkrug, wie die
Entzündete Krötenhaut
Unserer Demokratien.
Durchscheinend, aufbrausend
Wie eine aufgescheuchte
Amselkolonie bei Winter-
Einbruch, wie das Unterhemd
Einer Vogelscheuche
Wie die Herzscheidewand
Eines Konsumdopingsünders
Unserer Breite.

Lybischer Spätsommer

Schreie und Explosionen
In der heißen Wiener Afrikaluft
Die letzten Stunden des
Diktators, Brandgeruch,
Phosphor – Lachen und
Krachen, Jubel und Schluchzen
Tod und Geburt
All das in den Strahlen
Der wunderbaren, sinkenden
Sonne, in ihrem kosenden
Streicheln, im heißen
Föhnhauch des verklingenden
Tages. Mögliche
Freiheit über den
Wüstengräbern ist bis hierher
Zu erahnen und auch schon
Der nächste Verrat.

Grausam unbeteiligt und
Ungerührt dreht sich das
Vielzitierte Rad der
Geschichte – Knochenmühle
Im Takt der Börsenstatistiken
Und des Auf und Ab der Ölförderanlagen.
Der Peak-point der
Unmenschlichkeit ist
Schon lange überschritten
Bloß, wer hats gemerkt?

Die Menschheit
dürstet nach friedlicher
und lebbarer Zukunft.
Tunesisch-Ägyptischer Frühling
Lybischer Sommer
Wann kommt der syrische Herbst
Und wann endlich
Der letzte Winter der
Oligarchien?

Für Helmut Schüller
Und die Pfarrerinitiative


Es ist Platz
Genug auf dieser Erde,
dass ein jedes, wie
es ihm beliebt, hier
glücklich werde.
Dieser Himmel ist so
Riesengroß, dass er
Alle zudeckt, die da
Nackt und bloß
Seine Farben sind so
Wunderbar, dass man nicht
Bemerkt wer von uns
Farblos war.
Seine Vögel
haben so viele Schwingen
sie zu zahlen wird uns
nie gelingen,
dass sie fröhlich
miteinander fliegen
zählt, nicht zu wissen, wem
ein Flügel fehlt.
Dass wir miteinander
Gehen, hören, fühlen,
sehen, dass wir
unsere Herzen schlagen
spüren und dass
unsere Hände sich berühren,
dass wir wissen –
jeder ist was wert
ob er jetzt versehrt ist
oder unversehrt
Niemand kann
Die Welt besitzen
Wenn er sie nicht
Mit den anderen teilt
Siehst am Abendhimmel
Du ein Sternlein blitzen,
Tag enteilt
Torkeln Fledermäuse durch
Die Dämmerung in buntem Tanz
fühlst du, dass du
da bist, voll und
auf dem Rücken liegend,
ganz
dass du eins bist mit
den Elementen und dem
All
Liegst im Sommergras,
das riecht nach Leben
und Verfall
und riechst das Leben
im Verfall.

Das falsche Pferd

Ich habe immer aufs
Falsche Pferd gesetzt:
Aufs Seepferd.

24. August 2011

Widerliche Zeitgenossen

In Washington war ein
Erdbeben. Ja, derfs denn
das?
Im Morgenjournal: Mord- und
Argumentationsnotstand.
Ein österreichischer Fondsmanager
Wird interviewt bezüglich der
Situation in Lybien.
Lange Zeit Gadaffi hofiert
Jetzt haben Firmen Glaubwürdig-
keitsprobleme, aber das
Stört sie nicht wirklich.
Sie sind schon wieder
Dran am Geschäft, wie
die Laus im Pelz.
ÖMV, Eni etc.
400 Milliarden Barrel
Ölreserven für Europa.
Das zählt. Nicht
Die Kinder in Somalia
Nicht die Unterdrückten
In Syrien.
Gadaffis Erbe ist
Schon aufgeteilt und
Bilanziert.
Die Haut des Bären…

Widerliche Zeitgenossen,
das.

28. August 2011

Sonntag. Ersteinsatz bei einer Neunundneunzigjährigen.
Ich läute, die Schwiegertochter öffnet.
Der Tod war vor mir da. Sie ist gestern verstorben.

29. August 2011

Der Ostbahnkurti
im Prater, 2011,
des war für mi
wie am Tahirplatz
in Ägypten, aber
kana hats no gwusst
de Leit warn voll
begeistert
haben gspiart was da
passiert is echt
tiaf drinnen in der Brust
warn alle griahrt
und des Gespenst
vom Lichtermeer
von Demokratie
und Menschenrecht
und no vül mehr
is umanaundageistert

Die Amy Winehouse
Könnt no leben
Die Arme täterts heit no geben
Hätt sie an Kurti ghabt wia di


Ewiger Zweiter

Das Leben ist schmutzig
Das Leben stinkt
Wenn es trutzig
Vorüber hinkt

Das Leben ist Frohsinn
Das Leben ist schön
Das Leben ist unwissenschaftlich
Und hat keinen Sinn
Das Leben ist Gestöhn

Es ist weil es ist
Und es reimt sich meistens nicht
Es hört auf und geht
Trotzdem weiter
Das Leben ist ein ewiges Gedicht
Das sich stets neu schreibt
Du bist sein Begleiter
Und ewiger Zweiter
Weil dir nichts anderes
übrig bleibt

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