23. Mai 2014
Unterwegs
Ich sehe die
Welt ganz anders, im Verschwinden
Mit wachsender
Distanz kommt in den Blick das Ganze
Je näher ich ihm
kam, sah ich nur mehr: Detail
Das mir
erzählt und strahlt in vollem Glanze
Und lacht und
sagt: hier, komm, du kannst mich finden
Und machen,
dass ich mit dir tanze
Doch auch die
größte Nähe wird mich nicht binden
Ich sehe das
alles anders, im Verschwinden
Wenn jetzt, im
Rückblick auf das einst so nahe, enge
Das Ganze
auftaucht und seine Zusammenhänge
Und Muster und
Strukturen sich erschließen
Sich Formen
lösen, neu sich bilden und zerfließen
Von weitem und
im Abschied siehst du klar
Figuren,
Gestalt und Hintergrund, Felder und Fluren
Was sein wird
und was war.
Die Gegenwart,
dazwischen unterwegs, ist wunderbar
Mit den Wellen
Ich lebe mit
den Wogen der Gedanken
Und nur in
ihnen fühle ich mich bei mir
Und frei und
kenne keine Schranken
Bin selber
Welle auf dem Weg zu Dir
Kinder im Bus
Der Bus ist
heute Morgen halbvoll mit Schulkindern. Sie lachen und sind laut. Offene
Gesichter. Wie viel sie doch aufnehmen, erfahren, ausprobieren. Alles ist
Lernen, sozialer Kontakt, ausgelassene Mimik und Gestik, Umwelt sinnlich erfahren,
Sprache suchen, versuchen.
Wieviel auch ich
wahrnehme. Traurige Augen einer jungen Frau, mehrheitlich abweisende, aber auch
einige amüsierte Blicke älterer Menschen. So viele konzentrierte Menschenschicksale.
Die Erwachsenen wirken viel weniger lebendig als die Kinder, mehr nach Innen
gekehrt, mit ihren Handys und I-Phones beschäftigt, haben ihre sozialen Rollen,
Muster und Abgrenzungen offenbar bereits gut gelernt. Eine junge, energisch wirkende
Lehrerin zählt, nach dem Aussteigen, die Kinder, draußen auf der Straße, ganz genau
ab.
Wie gesagt, auch
ich nehme enorm viel wahr und ich frage mich: Ist das nicht auch ein Problem
vieler psychischer Störungen, dass wir mehrheitlich in einer unübersichtlichen,
künstlichen Welt (vor allem in den Großstädten) leben, die mit Reizen bis zum
Bersten vollgestopft ist, und wo es darauf ankommt, wie wir in unserer Kindheit
gelernt haben mit diesen überfordernden Umweltreizen um zu gehen, sie wahr zu
nehmen, sie einordnen zu können, in wichtige, weniger wichtige und, für uns,
unwichtige, wie wir geprägt wurden durch unsere „role models“ mit den Gefühlen
um zu gehen, die all diese Reize, vor allem, die, die von den Mitmenschen
ausgehen, bei uns auslösen. Viele wehren sie ab, können sie gar nicht zulassen,
andere werden von ihnen überflutet und fürchten ihr Selbst zu verlieren.
Die Sitten,
Höflichkeiten, Umgangsformen, die die diversen Kulturen in den jeweiligen
Epochen entwickeln und in ihren sozialen Strukturen (pädagogischen
Institutionen) vermitteln, durch Religion, Ethik, Kultur, Philosophie, Politik
und deren medialer Aufbereitung, Darstellung und Verbreitung, dessen was in uns
und um uns vorgeht und für uns wichtig sein soll und aus dem sich eine gewisse
Norm und Konvention ableitet, wirken unausgesetzt auf uns ein, auf allen
Kanälen, oft brutal, ungefiltert und manipulierend, oder von schreiender
Falschheit. Und diese klebrige, bedrückende, psychische Substanz, die so gesellschaftlich
produziert wird vermischet sich, unausgesetzt mit unseren jeweiligen realen
Lebenserfahrungen, elterlichen, familiären, schulischen Prägungen, zu einem oft schwer
erträglichen, hintergründigen Lebensgefühl.
Und in all dem
chaotischen Wirrwarr sollen wir uns kognitiv, sozial psychisch und physisch-materiell zurecht finden, uns zu
allem ein Urteil bilden, nachdenken, eine Auswahl treffen, zu einer sozialen Haltung
und gerechten Handlung kommen, sollen ehrlich sein und ein Gefühl für die
Wichtigkeit lebendiger Demokratie und sorgsamen Gemeinwohls entwickeln. Sollen
beispielsweise die Europäische Union verstehen, mitgestalten und Europa lieben.
Unglaublich
viele, sich oft überschneidende oder widersprechende Reiz- und Informationsmengen,
gekoppelt an mannigfaltige Bezugsfelder, laufen also, in Form von Empfindungen
und Denkvorgängen, bewusst, auch oft unbewusst, für jeden/jede, im Alltag ab. Die
Sprache, die Fähigkeit zum respektvollen Dialog, die ganzheitliche Betrachtung, so wir sie gelernt haben,
helfen uns unsere Haltungen gegebenen Falles zu modifizieren und der Situation entsprechend
optimal zu gestalten, sinnvoll und möglichst erfüllend unseren ordnenden Weg im
ambienten Chaos zu suchen, unseren Weg zu bahnen, unser Leben zu leben. Die, die das weniger gut
können, alle hoch sensiblen Menschen, die durch Bindungsstörungen, mehr oder
weniger große Traumata, soziale Ungerechtigkeiten und Marginalisierung,
geringere Bildung etc. in ihrer
Lebensentwicklung aus dem Tritt geraten sind, über weniger
Lebensressourcen verfügen, aber auch chronisch Kranke, vereinsamte, ältere Menschen, also
alle, die weniger resilient sind als der „Durchschnitt“, haben es naturgemäß
schwerer in „Balance“ zu bleiben, möglichst gesund, aktiv und gestaltend ihr Leben zu
bewältigen; vor allem in gesellschaftlichen Ausnahmezuständen, wie z.B. der
aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise.
Es hängt
letztlich von der ihnen zur Verfügung stehenden Lebensenergie und der sozialen
Unterstützung ab, in welche Richtung sie den Hebel des Lebens zu bewegen im Stande
sind. In die Richtung des Lebens, was Energie Entschlusskraft, Kreativgeist,
Hoffnung, Mut, Zuversicht, Motivation und oft große Anstrengung bedeutet, oder
hin zur Resignation, Depression, Leiden und Tod, bis zum gesellschaftlich
tabuisierten Suizid, (der vor allem in den von der Krise besonders stark betroffenen
südeuropäischen Ländern signifikant gestiegen ist), wofür auch immer geringer
werdende und kaum mehr auszumachende Ressourcen ausreichen, auch wenn es oft
dann im letzten Aufbäumen und im finalen Entschluss, zur Mobilisierung
unvermutet hoher, offenbar immer noch vorhandener Energiepotenziale und immer
auch einer verzweifelten und paradoxer weise mutigen Kraftanstrengung, also zu
einem sprechenden, oft anklagenden, immer aber mitteilenden, kommunizierenden Akt
der Selbstauslöschung kommt; angesichts derer die Mitmenschen gerne ihre
Mitverantwortung und die Tatsache, dass sie die individuelle Katastrophe nicht
zu verhindern wussten, obwohl es in einer gemeinsamen, minimalen Anstrengung
und rechtzeitiger Zuwendung, sicherlich in den meisten Fällen möglich gewesen
wäre, verdrängen. Von den verantwortlichen PolitikerInnen auf nationaler und europäischer Ebene und den sie beeinflussenden Finanz- und Wirtschaftslobbys, gar nicht zu reden.
Oberflächlicher,
meist ohnehin langweiliger Hedonismus, politisches Desinteresse, denkfauler,
angepasster, opportunistischer Egotismus, scheinbare Totalinformiertheit bei
gleichzeitig zunehmendem realen Kontakt- und Seinsverlust in unseren scheinmedialen,
scheindemokratischen, privilegierten, entfremdeten Produktions- und Konsumterrorwelten,
in einer gigantischen Blase der globalisierten Gleichgültigkeit und
verblödenden Vergnügungsunkultur mit Weltenende-Blockbustern, haben uns sozial
immer mehr desensibilisiert und ohnmächtig bleibt uns oft nur mehr abends
entkräftet vor dem PC im Internet die Kritik an Drohnenangriffen, erbärmlichen,
mörderischen Stellvertreterkriegen, dem Aufkommen rassistischer, antisemitischer Dynamiken, die zunehmende Zerstörung der Lebensgrundlagen der
Menschen und unseres Planeten zu „liken“.
Die Lehrerin,
auf dem Schulausflug zählt ihre Kinder. Zählen wir eigentlich unsere Nachbarn
und Mitmenschen und vor allem – können wir auf sie und sie auf uns zählen?
27. Mai 2014
Wolkenverhangener Abend im Mai
Der Abend ist
müde, wie die Menschen
Müde vom hin
und her, von kalt und warm
Regen und
Sonnenschein
Heim wollen
alle, alle wollen Ruhe
Ablegen das
Gewand
Ausziehen die
nassen Schuhe
In einen
Sessel sinken
Jetzt bin ich
zu Hause
Den Hunger
stillen und den Durst wegtrinken
Sich
überlassen dieser Atempause
Die ganze Welt
sei nun mein Ruhekissen
Hier, ganz bei
mir in meiner kleinen Klause
Fühle ich
Verbundenheit mit allen Lebewesen
Dann möchte
ich eine ungeschriebene Zeitung lesen
Und reden mit
entstehenden Kontinenten
Mit den
Verschwundenen und Ungeborenen auch
Da fühle ich
mich frei, und rein ist mein Gewissen
Und bin ein
Kind und denke mir nichts dabei
Noch ungeboren
in der Erde Bauch
An einem wolkenverhangenen
Abend im Mai
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