Der Tag meiner Geburt rückt immer
weiter in die Ferne
Und ist doch in mir eingeschrieben
wie die Ringe alter Bäume
Wie in die Nacht, unzählbar, sicht-
und unsichtbare Sterne
Und in den dunklen Grund der
Seele seltsam wundersame Träume
Ich reise nun sechsundsechzig
Jahre auf der grausam schönen Erde
Auf einem Schiff der Hoffnung irgendwie nach irgendwo, wo ich nie war
Und spüre immer noch Jubel und Staunen,
ja, ich bin da und werde
Die Zeit verbringen als ein
neugieriger Weltenwanderer nach Wunderbar
Ich schreibe mein Leben selbst,
das tut kein anderer für mich, das ist mein Stolz
Ich schreibe glücklich und
besessen, Inhalt und Ausgang weiss ich nicht
Mein Leben ist nur eine Welle auf
dem Meer, seht hin, da rollts und rollts
Ihr Lieben und am Ende lasse ich
euch von mir ein unvollendetes Gedicht
Das sagt euch, danke, dass ihr
mich mit so viel Liebe stets begleitet habt
Ich bitte umVerzeihung für jeden
Schmerz den ich euch zugefügt
Dass ihr mit mir die Sehnsucht
nach der Freiheit und die Freude nicht begrabt
Ich habe euch geliebt und weiss
doch auch, das hat uns nie so ganz genügt
Das ganze Glück, dass alle
Menschen frei und glücklich, friedlich, sinnvoll leben
Das wollte ich egoistisch immer
und wusste doch das ist nicht zu erreichen
Leid, Armut, Traurigkeit, Gewalt
und Krieg und Tod, die konnte ich nicht beheben
Die Rechnung ist zu groß für
mich, ich kann sie nicht begleichen
Momente des Glücks, im Lieben und
im Schreiben, gelungener Arbeit, der Veränderung
Und soviel Schönheit, Wahrheit, Kinder,
wilde Früchte am Wegrand frisch gepflückt…
Ich sage euch wir gehen und wir
altern und vergehen und wir bleiben ewig jung
Nur in der Dämmerung Erinnerung,
sind wir ganz und heil, glücklich und frei, gebückt
Doch ungebückt.
20. Juli 2018
Wir
werden heimgekommen sein
So, jetzt bin ich sechsundsechzig
und Mutter hat noch nicht angerufen
Wie sie es sonst immer tat,
bemüht die erste Gratulantin von allen zu sein
Jetzt warte ich nimmermehr, mir
reichts, ich bin müde und gehe schlafen
Ich werde mich ins Bett legen und
die Augen schließen, ich bin nicht allein
Ich werde träumen mein Leben, wie
ich es immer tue, auch wenn ich wach bin
Ich werde alle meine FreundInnen
treffen, die nicht mehr am Leben sind
Ich werde ihnen meine kleinen
Geheimnisse ins Ohr flüstern und sie mir ihre
Wir werden unerhörte Lieder
schreiben über die unhaltbaren Zustände auf der Welt
Ich weiß nicht ob ich von dort
zurückkommen wollen werde, ich denke schon
Denn hier, am nächsten Morgen,
erwarten mich meine Kinder und die Vögel und
Wilde Blumen an den Ufern der
immer noch fließenden Flüsse, in die ich steige
Um auf dem Rücken liegend mein
Gesicht von der Sonne bescheinen zu lassen
Meine Kinder sind verstreut wie
die Pusteblumenregenschirmsamen im Wind
Ich trage meine Sorge um sie wie
ein Joch oder einen Rucksack auf den Schultern
Im Traum tanze ich inmitten von
blökenden Schafen und zähle die Störche im Himmel
Es ist schon hoch im Juli und die
Erde wälzt sich wild und unruhig dem Ungewissen zu
Ich wärme mich immer noch am
Fleisch der anderen und atme die stickige Luft ein
Weiß, die Städte, die riesigen
Krebsgeschwüre, der Hunger, das Sterben müssen nicht sein
Auch nicht die aufgeblähten,
schaukelnden Leiber der Puppen, die einmal Menschen waren
Die nun die Politik unserer
kalten Verbrecher zum Tanz an die Strände des Mittelmeeres spült
Wir haben die Kolonien
eingepflanzt in unseren Genen, die Sklavengene empören sich
Die Untertanengene lassen uns die
Verbrechen, die unzähligen, gewiss nicht billigen
Doch auch nicht tatkräftig
verhindern, weil ein kleines Ameisenleben nicht ausreicht, um
Die blut- und leichengetränkte
Erde zu pflügen, neue, freie, reine Früchte erblühen zu lassen.
Aber der Tag wird kommen, die
Tage, an denen wir, längst Entschwundene, mitfeiern werden
Den Geburtstag all unserer
Geburtstage, in einem unvergleichlichen Hier und Jetzt der Freude
In Geschwisterlichkeit werden wir
über die Welt reisen, die Berge und Meere und singen
Aus einer Kehle, in tausend
Zungen, das Hohelied der Heimgekommenen, überall.
So, jetzt bin ich sechsundsechzig
und Mutter hat noch nicht angerufen
Wie sie es sonst immer tat,
bemüht die erste Gratulantin von allen zu sein
Jetzt warte ich nimmermehr, mir
reichts, ich bin müde und gehe schlafen
Ich werde mich ins Bett legen und
die Augen schließen und nicht alleine sein.
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