Novembergedichte
12. November 2022
Heimat: Welt
(Eine utopische Vision, geschrieben im
„welTraum“ am bolivianischen Fest zum 212. Jahrestag der
Befreiung von den spanischen Kolonialherren in Potosí in Südost-Bolivien.)
Es ist kein Ort. es ist überALL
es ist dieser winzige blaue Planet
es ist diese Träne, die funkelnd im All verweht
mit ihrer Liebe und ihrem Widerstand
ist so viel mehr als falsche, konstruierte,
nationale Identität
Heimat: Welt
die uns am Leben hält, mit ihren Kontinenten,
Bergen, Meeren,
mit ihren Wüsten und Urwäldern, die füllen
unsere Leeren
die machen, dass wir uns vermehren
mit ihrer prachtvollen Sonnenwärme auf unserer
Haut
und ihrer Liebe und ihrem Widerstand, der
auftaut
mit ihren Blüten und mit ihren Millionen Pflanzen
und Tieren,
mit ihrer fruchtbaren Erde auf der wir uns
gerne verlieren
gemeinsam feiern, lachen, lieben, musizieren
Heimat: Welt
Mit ihren vielen Narben von so viel Trauer,
Leid und Kriegen
Grenzen gibt es nicht für das Licht, und auch
wenn die Nacht hereinbricht
und auch am Ende des Lebens, am Ende von jedem
Gedicht,
gibt es wieder Geburt, Leben, Hoffnung und
Sehnen,
dann aus einem Tal von Tränen, blitzende,
verliebte Augen,
werden Menschen frei und einzeln, nicht mehr
folgsam in Herden
zusammen, weil sie es sich so ausgesucht haben
Ach, in jedem ein funkelnder Schatz vergraben,
der teilen heißt und geben und lieben
und nicht mehr allein entgleist und erliegt
seinen wütendsten Trieben,
seiner Gier, seiner zerstörerischen
Zerissenheit,
ein friedlicher Geist, mitten in dieser kriegerischen,
gewalttätigen Zeit.
Heimat: Welt
Ein Arm, der sich um die Schultern des Nächsten
legt,
ein Schrei und ein Lied, das die Erde bewegt
und ein Tanzen mit den anderen über sich hinaus
–
frei vor dem offenen, gemeinsamen Haus`
und die Erde wird friedlich von allen bewohnt
und bestellt
und ist für jede und jeden
Heimat: Welt
13. November 2022
Advent, Advent, die Erde brennt
(Lied gegen Klimawandel, Krisen und Kriege
Eine andere, bessere Welt ist möglich!)
Advent, Advent, die Erde brennt
Die Sicherung ist durchgebrannt
Und auch der
menschliche Verstand
Das Klima kollabiert und alle tun weiter,
ungeniert
Wir werden totgewirtschaftet und totregiert
Advent, Advent, die Erde brennt
Meere ersticken, steigen an, die Luft verdirbt
Pole und Gletscher schmelzen ab
Die Biosphäre stirbt, und kaum wer reagiert
Vorm offenen Hitze-Massengrab
Advent, Advent, die Erde brennt
Kriege werden geführt, Gifte werden gerührt
Atem
wird abgeschnürt
Oligarchen und Patriarchen denken nur ans Geld
Versiegeln den Boden und vernichten die Welt
Advent, Advent, die Erde brennt
Wo bleibt die Feuerwehr, wo bleibt die
Gegenwehr
Ein Rettungsplan
Es geht ums Ganze, Leute, nicht morgen; Heute!
Wir haben schon viel zu lange nichts getan
Bauen wir Archen, aber nicht für Oligarchen
Bauen wir Archen, aber nicht für Oligarchen
Bauen wir Archen, aber nicht für Oligarchen
15. November 2022
G`hupft wie g`sprungen
An meinen Niederlagen möchte ich mich
berauschen
An meinen Siegen möchte ich verzweifelt sein
Denn eines lässt sich mit dem anderen trefflich
tauschen
Und alles beide gehört nur mir allein
Genießen will ich Leiden und Freuden bis zum
lerzten Tropfen
Dass nichts entwischt, was je mein Sehnsuchtsblick
erfasst
Ertragen will ich noch die schwerste Last
Will nur ganz tief in mir ein Herz voll Liebe
klopfen
17. November 2022
Der Menschenwolf
Genug ist genug
Zum Brunnen ging er, bis er brach, der Krug
Denn alles um uns war doch Lug und Trug
Und niemand der nach Kapitalismus' neuen
Kleidern frug
Nackt stand er da in seiner Monstrosität
Als lallender Tor, der über Millionen Leichen
geht
Und selbst sein wüst-chaotisches Treiben nicht
versteht
Zuviele Kriege hat er ausgesät, zuviele
Unschuldige abgemäht
Den Leib der Erde aufgerissen, dass es ärger
nicht mehr geht
Wälder vernichtet, Meere vergiftet im Glauben,
dass er über allem steht
Der Menschenwolf, der alle anderen Wesen auf
dem Altar
Des mörderischen Fortschritts und Profits verschlingt
Und alles, was da
kreucht und fleucht ums Leben bringt
Verkrallt in den Gehirnen aller Kreaturen, dass
sie sich selbst aufgeben
Willenlos, Lemuren im Dienst der Mordmaschinerie des Kapitalismus
Der, wie wir wissen, führt gerade in
Krisenzeiten gradewegs in den Faschismus
Auch wenn der sich neu verkleidet
19. November 2022
Konfession
Ich habe kein Talent
für das Leben, das man gemeinhin Leben nennt
ich suche immer die Wunderblume, die rot im
grauen Alltag brennt
ich verabscheue Supermärkte, Kindergärten,
Schulen und Kaufhäuser, Familienessen und Banalurlaube, das was man für
gewöhnlich so in der "Freizeit" tut, Hobbys und Nachmittage in der
Gartenlaube, sinnentleerte Spaziergänge in der frisierten, denaturierten Natur
langweilen mich zu Tode und belanglosen Smalltalk kann ich ebensowenig
ausstehen wie Regierungspressekonferenzen, Pseudonachrichtensendungen oder
billige Volksvergnügungen. Am meisten hasse ich stumpfsinnige Werbung und
Bezirkszeitungen des Nichts und der Nichtigkeiten, das Sklavenleben an der
Leine, die du aus Stumpfsinn und Verblödetheit selbst in der Hand hältst, als
dein eigener Sklaventreiber, der im Mainstream mitschwimmt bis er darin ersäuft.
19. November 2022
Der erste Schnee
Der erste Schnee in diesem Jahr in Wien
Ich denke an die, die in den Kellern und
Schützengräben
ohne Wärme und Licht und Wasser überleben
über die nicht der
Blätter- sondern der Bombenfall hereinbricht
und ich möchte mich übergeben und ich verliere
mein Gesicht
Der erste Schnee in diesem Jahr in Wien
ich denke an die, die vor den Überflutungen
fliehen
die in den ausgedörrten Hitzehöllen dieser Erde verderben
die an den
Grenzzäunen und in den Lagern sterben
und nicht bequem in Hauptquartieren und
Luxusvillen ihre Zeit verlieren
ich denke an die, die im Schnee krepieren
Der erste Schnee in diesem Jahr in Wien
so unschuldsweiß und schön und wunderbar das
Leben flieht zurück ins Erdesdunkel
ins Wurzeltief, Eisschneekristallgefunkel,
unser Gewissen schlief zu lange schon
schuldig und unschuldig zugleich, die
Menschenseele liegt auf der Folterbank
zerstückelt, eingelullt, verdorben,
krank, die Wirklichkeit wird schöngeredet und verdrängt
und in den
Alicewunderhorrorschrank des Internets gehängt, damit sie niemand sieht
Wetten,
dass, wir waschen uns den Pelz und werden demnächst nass
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