4. Juli 2020
Lebenszeichen im 68. Jahr
Lebenszeichen im 68. Jahr
Ja, ich stecke auch zuweilen den Kopf in den Sand und ziehe ihn ab und zu wieder heraus, um zu sehen ob die große Flut noch nicht gekommen ist.
Ja, auch ich habe Angst, diese uralte Angst, die in allen Wesen ist und die so leicht geschürt und instrumentalisiert werden kann, von skrupellosen Angstausnützern, die ihre eigenen Ängste und ihre Menschlichkeit betäubt haben, damit sie besser leben können vom Blut und vom Leben der Anderen.
Sie lügen uns täglich an, um den Tod besser verkaufen zu können. Werbung für krankmachende Autos, für todbringende Waffen, für chemisches Zeugs das Luft, Boden und Wasser vergiftet und alles was lebt, für Süchte und Sehnsüchte aller Art, für künstliche Bedürfnisse, die „unbedingt“ befriedigt werden müssen. Werbung redet uns den Tod schön. Niemand fragt uns je, ob wir das wollen, ob wir all den aufgeblasenen, schöngefärbten Plunder und Sondermüll, den sie uns für ihre Profite produzieren lassen und dann auch noch zum bedingungslosen Konsum anpreisen und andrehen, auch wirklich brauchen und wollen. Niemand fragt uns, was wir wirklich brauchen, niemand ist wirklich an uns interessiert.
Niemand, sie, das sind alle, die sich in dieser Beschreibung wiedererkennen.
Sie preisen die Zukunft an, die sie täglich zerstören, die „lieben Tiere“, die sie skrupellos töten, die Natur, die sie schänden, sie versprechen uns schöneres Wohnen, günstigere Kredite, bessere Bankzinsen, Häuser, die die Landschaft zersiedeln, Autos, die unsere Lungen vergiften, Urlaube, die uns eine heile Welt vorgaukeln, Essen und Medikamente, die uns schlank sportlich, jung und glücklich machen. Und sie wollen nur unsere Arbeits- und Lebenskraft, Ausbildung statt Bildung, gerade genug damit wir funktionieren und für ihren Reichtum und ihr Wohlergehen bis zum Umfallen arbeiten können, erschöpft, gekränkt bis zur Erkrankung, ums schöne Leben gebracht. Und in der "Freizeit lenken sie uns ab, verblöden sie uns mit für sie lukrativen Sportarten, Moden und Spielen haltungsloser Unterhaltung in allen Saisonen, bieten uns mörderische Blockbuster, Killer-konditionierende Computerspiele für die lieben Kleinen, primitive, immergleiche, todlangweilige Krimiserien, die vor Tod und Banalität strotzen, zum Weinen und zum Erbrechen kitschige Schlageraffen und Äffinnen, oberflächlichste und kurzatmigste Informationsformate und harmlos dahinplätschernde „Nichtdiskussionen“, Plauderschwatzsendungen, die sich als Infotainement ausgeben und Dauer-Lügenwerbung auf allen Kanälen und Netzen, dass sich die Balken im Auge biegen. Lügen verschleiern, den fatalen Trend zu entmenschlichten Gesellschaften der Ungleichheit und des mörderisch-kriegerischen Konkurrenzsystem-Wahnsinns. Und die große Mehrheit der Mitmenschen schluckt all das (noch), erschöpft, verängstigt und manipuliert. Ach ja, und die Wirkkraft korrupter Demokratien endet an den stählern-gläsernen Festungsportalen und Mauern der Banken, Chemiekonzerne, Großindustrien.
Die Coronakrise zeigt viele sonst verborgen gebliebene Missstände auf, die Grenzen des Wachstums und die Vulnerabilität neoliberaler Globalisierung und bringt zwar manche, kleine Einsichten und lebensnotwendige Reförmchen auf den Weg; aber im Vergleich dazu wird die Umwelt- und Klimakrise, in die die Coronakrise ja als Teilkonsequenz eingebettet ist, gigantische und kaum mehr korrigierbare Katastrophen herbeiführen. Alle wissen es, "everybody knows" wie Leonard Cohen weissagend sang, doch die nötige, radikale, wirtschaftliche und politische Systemwende bleibt (voerst) aus.
Und doch gibt es auch anderes, erfreuliches.
Den strengen Richter, der nach stundenlanger penibler Verhandlung dem jungen Afghanen den subsidiären Schutz zuerkennt, mit einem freundlichen Lächeln, endlich, und der damit höflich, aber klar, die Aberkennung und die Abschiebung nach Afghanistan, die die Fremdenpolizei vom BFA, in bewusster Unmenschlichkeit, wie schon so oft erfolgreich anstrebte, abschmetterte.
Die Zivilgesellschaft, die für die Menschenrechte aufsteht, aber auch Polizisten, die die Schilder und Knüppel niederlegen und vor Anti-Rassismus-Demonstranten niederknien. Menschen wie Assange, die Verbrechen des Militärs gegen die Menschlichkeit aufdecken, auch wenn sie dafür der Freiheit beraubt und in Lebensgefahr gebracht werden.
Menschen aller Lager, Überzeugungen, Kulturen, Religionen, die empathische Menschen geblieben sind und sich für den Schutz der menschlichen Lebensgrundlagen und für das Gemeinwohl, lebendige Demokratie und sozial- und umweltgerechte Arbeit und Wirtschaft, überall in der Welt einsetzen. Alle Menschen, die sich Anstand, Gewissen und autonomes Fühlen und Denken bewahrt haben und Zeichen des Lebens, der Liebe und der Zukunft setzen, kleine und große, tagtäglich, unter Mühen und Schmerzen, oft nicht beachtet und gewürdigt. Es werden weltweit immer mehr, die spüren und wissen, dass es so nicht mehr weitergehen kann. In den ehemaligen Kolonien, von Afghanistan über Syrien, den Jemen, Afrika, Lateinamerika, bis in die imperialen Hochburgen wie der USA, China, Russland und Europa. Das Bewusstsein zusammen in einem Boot zu sitzen und nur eine Erde zu haben, wächst. Unsere grenzenlos geeinte Kraft und unser Einsatz, wo wir auch seien und so gering er auch manchmal nur sein kann, wird das Weltende abwenden und die Weltwende bringen.
4. Juli 2020
In Ruh`
Gedicht an mein inneres Kind
Ich bin noch da,
die Bäume vor dem Fenster auch
Ich kann noch sehen, hören, fühlen, denken, was für ein Genuss
Das Alter macht bescheiden, ich habe was ich brauche
Ein Dach über dem Kopf, Wasser aus der Leitung, einen gefüllten Bauch
Und wenn du aufwachst, einen Gutenmorgenkuss.
Die Äste wiegen sich im Wind
die Morgensonne schickt ihr Licht
dazu. Zufrieden lacht mein inneres Kind
Ich widme ihm dieses Gedicht
und gehe wieder zu Bett, in Ruh`
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