9.6.19

willi stelzhammer – laut gedacht : mein vater deserteur

willi stelzhammer – laut gedacht : mein vater deserteur: kommerzialisierter, meist sinnentleerter vatertag ist.  meinem vater willi stelzhammer, der 1982 im Alter von nur 56 jahren, nach einer...

mein vater deserteur

kommerzialisierter, meist sinnentleerter vatertag ist. 

 

meinem vater willi stelzhammer, der 1982 im Alter von nur 56 jahren, nach einer fehlgeschlagenen herzklappentransplantation verstorben ist, widme ich heute folgenden textauszug aus meinem theaterstück "hamlet 85", das wir mit unserer theatergruppe "comedia mundi" der europäischen kooperative longo mai bei den alternativen festwochen in wien, in einem zelt auf dem platz an dem heute das hrdlicka denkmal gegen krieg und faschismus steht, 1985, drei jahre nach seinem tod, uraufgeführt hatten. der text, in ich-form, auf wienerisch verfasst, beschreibt ihn in jungen jahren, in der dramatischen zeit des zweiten weltkriegs, wie so viele zwangseingezogen mit 16 zur Marine bis zu seiner desertion und ist zusammengesetzt aus erinnerungen, die er mir überlieferte. es ist der der versuch ein stück weit zu vermitteln wie er war: bescheiden, tolerant, nicht heldenhaft, aber mutig. ich verdanke ihm und meiner mutter so viel. der kontakt zu ihm ist auch nach seinem tod nie abgebrochen. im gegenteil, er wird, je älter ich werde, immer intensiver und differenzierter. vater, ich liebe dich und trage dich in mir.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

der freischwimmer

Ich hab erst gar nicht begriffen, was das ist - Krieg.

Das hab ich erst so richtig kapiert, als ich auf dem Minensuchboot war, oben in der Nordsee. Natürlich bin ich am Anfang dabeigewesen. Da war ja auch etwas los bei der Hitlerjugend. Mei Vater war Sozialdemokrat, aber eigentlich net sehr politisch. Er hat mir zwar gsagt: geh net hin zu denen, des san Nazis, und mei Mutter war auch dagegen, aber sie habn mi halt gehn lassn. Und da warn ja a klasse Haberer. Naja, mitn Schliff und mitn Drill war da nix bei uns, mir habn in unserer Gruppen gmacht, was mir wolln habn. und des war schon klass. Mir habn Sport gmacht. Zu sowas hast ja vorher nie des Geld ghabt, oder die Gelegenheit. Na und i war natürlich a Patzn Spurtler, Radlfahrn, Leichtathletik, Turnen, Eishockey. Da bin i irgendso a "Unterscharführer" wurn.

Mei Freund aus Margareten, der is dann nachher gfalln. Glei als aner der ersten bei der SS, wias in Frankreich einmarschiert san. Des war a klasser Kerl, aber halt fanatisch.
Und dann bin i nach Belgien kumman, zur Grundausbildung, da war i 17 Jahr alt. Da bin i zum ersten Mal von der Widerstandsbewegung kontaktiert wurn, in an Wirtshaus. De Wirtin war a freindliche Frau. Da habns ma angeboten zu desertieren. Aber des war mir zu unsicher und dann wollt i scho no auffe zur Nordsee, zur Marineausbildung. I hab immer gern des Meer ghabt.

Obermaat Fick

Da oman in Dänemark war i in meiner Einheit aner der wenigen Oesterreicher, „Stenz“ habns zu mir gsagt, die Piefkineserer. Durt hab i den Fähnrichkurs gmacht, war aner der besten. Da war i ganz stolz. Aber des war no alles nix. Bis i aussekommen bin an de Front, auf an umbauten Walfänger. Na dann hab i bald gsehgn, was des is, der Kriag. Der Kapitän hat mi ganz guat leidn kennan, i war der jüngste an Bord, aber der Obermaat, des war a Gfrast. Obermaat Fick hat er ghassn - ja Fick - genauso. Also des war a Arschloch, a richtiger Saupreiss.
Der hat uns schikaniert.

Glei am Anfang, kann i mi erinnern, hab i amoil unten in der Offiziersmess Nudln serviert. Hat er mi net angschnauzt als wia, wollt, dass i des Deck schrubb. Da hat er mi no gschimpft. Na da hab i ma dacht - wannst da des gfalln lasst, is aus, dann machn de mit dir was wolln. Der war viel grösser wia i, aber i hab eahm de Schüssel mit de Nudln aufn Schädel ghaut, aufgsetzt, quasi. Na, hab i a paar Tag Arrest ghabt und zwaa Wochn Ausgangssperre.
Aber a Ruah war von da an.

Na und dann habn ma in de Hosn gschissn. Wia de ersten Angriffe warn, draussn, wia de russischen Flieger aus der Sunn aussegstessn san, da hast di nur mehr verkräuln kenna, wosd grad drunterkumma bist. Da san richtige Wälder auf uns zuakumman, gaunze Alleen, des warn die Garbn von de Flugzeug, de habn Sperrfeuer gschossn.
Dann bin i ziemlich bald amoil verwundet wurn. Hab an Splitter in Hintern kriagt, hab zwaa Monat net sitzn kennan. Aber des war gar nix, wannst de andern gsehgn hats. Bei jedem Angriff habn a paar gfehlt. Wia de ausgschaut habn. Da hast grad vurher no mit an gredt, des war a liaber Kerl, und jetzt liegt der da und de Därm kumman eahm ausse und er lebt no und schreit und schaut di an.
Da hab i gwusst, was des is, der Kriag.


DAS NARRENGRAB

Wenn die Narren wieder lachen
Und die Toten Witze machen
Und auf den Gräbern feiert man und tanzt
Sind die Mörder und die Opfer Liebende im grünen Wein
Der Erhängte in dem Apfelbaum sammelt die Aepfel ein
Wenn die Krüppel wieder gehen
Und die Blinden wieder sehen
Hört man die ganze Welt wie Stumme schrein

Schau, da geht er ja, der Alte
Dessen Bild ich in mir aufbehalte
Die normalen Leute weichen vor ihm aus
Dabei konnte er so gut auf Händen gehen, zaubern und
Wusste mehr als manch Minister, war ein Vogel Vagabund
Nannten sie ihn Idioten
Steckten lebend ihn zu Toten
Von ihm bleibt nur mehr ein mag'rer Strassenhund

Wenn die Himmel abends brennen
Wenn wir ins Verderben rennen
Denk ich immer an die, die verschwunden sind
Die Verlachten, die Vorstossnen, Namenlosen, Hoffnungslosen
Die begeistert ausgezogen sind, das Alte umzustossen
Grundstein sind sie für das Neue
Perlen warn sie vor die Säue
Ich pflück ihrem Andenken ein Büschel Rosen

Und dann san ma versenkt wurn.

Aber da wars z'spät. A jedesmal habn ma a Angst ghabt. Oder wanns im Nebel mit de Schnellboot daherkumman san und ham de Handgranaten an Bord gschmissn. Da hat uns der Alte einteilt mir sollns zruckschmeissn. Na, mir warn ja net teppert, mir habn uns hinter de Panzerungen verschanzt. Und dann san ma versenkt wurn. Vier Stund san ma im eisigen Wasser triebn, bis uns gfundn habn. Nur sechse von unserer Besatzung habn überlebt. Der Alte hat a überlebt. I war mit drei mit de Schwimmwesten zsammghängt. Wias uns aussezaht habn, war der neben mir tot. I hab glaubt, der hat gschlafn, aber er is ausbliat, den habns in Unterschenkel abgschossn.

Des miassat ma alles erzähln vur de Jungen, de heut wieder vom Kriag redn und de bei de Neonazis dabeisan und net wissn, wovons redn. Wia des is, wannst im Lazarett liegst, selber hast net viel. Aber da liegn überall de Schwerverletzten und de Sterbenden. Kopfschuss, Bauchschuss, Fiass san weg, Händ san weg. Und de fantasiern und schrein. I traam heit oft no davon. Des kannst net vergessn. 

Da fragt mi aner obn von der Pritschn: Heast Kamerad, kannst ma net an Tee zum Trinkn gebn? Und i frag mi: Was hat'n der? Und da siech i, dass mir der seine zwaa Handstummeln entgegenstreckt: Kamerad, kannst mir zum Trinkn gebn?
Waasst, wia da do is?

Federn habn ma ghabt, Federn, a jedesmal wann Fliegeralarm war. Ab und zu hab i Wach ghabt. Heast, da kummt amoil aner mitten im Fliegeralarm quer über de Reeling.

I halt eahms Gwehr vur.
No schiessen, isch Freind!

A Kriegsgefangener, a Franzos aus Marseille, a Taxichauffeur aus der Resistance. Aber der war gschwind, a Akrobat. Kummt a Unteroffizier vorbei - wusch - weg war der. von der Bildfläche verschwundn, hat an Klimmzug gmacht und is oman ghängt an der Eisendecken, unter aner Traversen. Der hat mi oft besucht. Immer wenn Fliegeralarm war, da is er aus dem Kriegsgefangenenlager ausse auf de Kai und hat umanandertanzt, während de Bomben gfalln san. Da war er allanich, war ja niemand so verruckt, da draussn z'sei. Der ist herumtanzt, hat mit de Händ umanandergfuchtlt und hat zu de russischen oder englischen Flugzeug auffegschrian: Durthin werfts a paar Bomben und durthin: Faschist kaputt! Amoil is des Admiralsschiff explodiert, des war als Spitalsschiff tarnt, aber de Kriegsgefangenen habn des natürlich gwusst. Am nächstn Tag war scho mei Franzos da: Deitsch kaputt! und hat si ans grinst.
Den tät i gern no amoil treffn.

Na und dann san ma amoil abghaut

Na und de letztn Jahr hab i scho immer nach aner Möglichkeit gsuacht, zum Abhaun. Aber des war net afoch. Mit an Haberer habn ma in Öltiachln a paar scheene Pistoln eigwicklt, de ma am  Schwarzmarkt eighandlt habn, de habn ma an an Schniarl im Wasser versenkt und a paar Monat lang so mitgschleppt. Dass ma was habn, für alle Fälle.

Des war schon gengan Schluss dann. Da wolltns uns auf Himmelfahrtskommando schickn. Des kannst da net vurstelln, da habn ma amoil Ausgang ghabt, de SS war scho im Rückzug, da war auf der Hafenmole a Latern nach der andern. Deutsche Soldaten. Aufghängt. In Uniform. Alle habns a Schild umbundn ghabt: Wegen Desertion erschossen - Feiges Schwein. Der ganze Kai war voll.

Na und dann san ma amoil abghaut, mit der Fähre umme nach Kopenhagen. Zum Glück san ma net kontrolliert wurn. Und durt habn uns de Amaga-Partisanen aufgnummen, de habn si so gnannt nach an Stadtteil von Kopenhagen. Durt war i in aner Garage unterirdisch unterbracht. An Aktionen habn ma net direkt teilgnommen, aber in der Ausbildung, Waffenkunde und so habn ma uns nützlich gmacht. Na und durt bin i a mit Deutsche und Oesterreicher zsammkummen, die scho früher politisch warn im antifaschistischen Kampf. Sozialisten, Kommunisten, klasse Typen.

Na, Held war i kaaner. Aber wieviele warn so wia i? Fast no Kinder, san ahnungslos da eine-gschlittert. Was i net verstehn kann, is, wia manche heut no immer nix dazuaglernt habn und no immer so bled daherredn. De Gfraster. Und wannst da des genau anschaust, dann fangt des heut ja scho wieder an. Schau das an, de Piefkineserer, den Strauss und den Kohl, und a bei uns den Frischenschlager und den Haider. Uns habns um unser Lebn bracht. Aber bitter bin i net.

Wann des nur endlich amoil aufhören tät.


ZUSAMMEN

Gestern saßen sie zusammen
Und sie fluchten und sie stritten
Und sie suchten und sie litten
Gestern saßen sie zusammen

Teilten in dem Hinterzimmer
Bitterkeit und Hoffnungsschimmer
Waren Freunde und Genossen
Haben Trän und Blut vergossen

Gestern saßen sie zusammen
Im KZ und im Gefängnis
In der Nacht und in Bedrängnis
Saßen sie und machten Pläne

Für die Zeit, die wir ersehnen
Ihre Meinung war verschieden
Und ihr Blut kam leicht ins Sieden
Doch sie saßen noch zusammen

Heute

Ihre Lider sind geschlossen
Jeder sitzt in seiner Ecke
Alter Lieder Kampfgeist, wecke
Wohlsstandsschlafende Genossen

Dass sie fluchen, dass sie streiten
Ueber Grenzen der Parteien
Wieder wie in alten Zeiten
Kämpferisch und einig seien